05 Aug

Populäre Philosophie und die intellektuelle Debatte außerhalb der Universität

Von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Forscher:innen, die auf der Universität (oder in außeruniversitären, vergleichbaren Institutionen arbeiten) sind es gewohnt, dass sie im Austausch mit Kolleg:innen stehen. Die Debatte gehört zum Kern der wissenschaftlichen Arbeit. Was aber tun, wenn das fehlt? Wie kann populäre Philosophie gelingen, ohne die Universität als sozialer Raum für Debatten am Flur, auf Tagungen, Workshops, in Zeitschriften oder über Zoom?

Populäre Philosophie ist Philosophie, die sich an alle richtet, die nicht professionell Philosophie betreiben, die also keine Fachleute sind. Natürlich ist populäre Philosophie auch interessant für professionelle Philosoph:innen, etwa, wenn sie in anderen Fachgebieten tätig sind oder, wenn es um eigene  Forschungsinteressen geht, um zu sehen, was hier wie popularisiert wird. Populäre Philosophie kann verschiedene Ziele verfolgen: die zugängliche Aufbereitung philosophischen Fachwissens, die gesellschaftspolitische Intervention oder die Auseinandersetzung mit Fragen, die sich dem engen Korsett fachwissenschaftlicher Textsorten entziehen. Populäre Philosophie ist Teil des Bildungsauftrags der Wissenschaft, schließlich soll die Allgemeinheit, die den allergrößten Teil dieser Wissenschaft auch finanziert, ebenso in den Genuss kommen, am generierten Wissen zu partizipieren. Die Expertise der Philosoph:innen soll nicht nur für die Philosoph:innen (und solche, die es qua Studium werden wollen) reserviert bleiben.

Ein wichtiger Bestandteil der akademischen Philosophie ist die intellektuelle Debatte, die Auseinandersetzung mit den Ideen, Thesen und Theorien anderer Forscher:innen (vor allem auch solcher, die schon eine Zeit lang verstorben sind). Diese Auseinandersetzung geschieht in der Lehre, in der nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch Kompetenzen erprobt werden wollen (das kann man die Fähigkeit des kritisches Denkens nennen). Aber auch alle, die schon „ausgelernt“ haben und als Postdoc oder Professor:innen an der Universität arbeiten, stehen im ständigen Austausch. Sie lesen Texte, schreiben Texte, halten Vorträge, kommentieren und werden kommentiert, besuchen Tagungen und Workshops, reden mit Kolleg:innen im Flur oder in der Tagungspause. Die allermeisten Philosoph:innen werden sagen, dass dieser Austausch mit anderen Philosoph:innen (aber auch den Student:innen und anderen Wissenschaftler:innen) zentral für ihre Arbeit, für die Weiterentwicklung ihrer eigenen Forschung ist.

Fast alle, für die populäre Philosophie geschrieben wird (oder im Falle von Radio und Fernsehen: geredet und gezeigt), sind von diesen sozialen Räumen der intellektuellen Debatte ausgeschlossenen. Natürlich gibt es im Bereich der populären Philosophie Debatten, sowohl in- als auch außerhalb der Universitäten und ihrer Hörsäle und Seminarräume. Doch an diesen Debatten sind fast immer nur professionelle Philosoph:innen beteiligt. Die eine schreibt ein populäres Buch, die andere dazu einen Kommentar in einer Zeitung. Oder beide treffen sich im Fernsehen oder Radio und diskutieren (das geschieht selten). Das Publikum der populären Philosophie bleibt aber außen vor, es bleibt für sich. Manche finden den Weg zu öffentlichen Veranstaltungen, wo es nach dem Vortrag eine kurze Diskussionsrunde gibt oder gehen den Weg zurück auf die Universität. Die allermeisten die populäre Philosophie lesen, tun das aber wahrscheinlich nicht. Sie können unterschiedliche Bücher oder Zeitungsartikel etc. lesen, aber sie haben keine Stimme und sie haben keinen institutionellen Rahmen, in dem sie mit anderen darüber sprechen können. Wer sich ein Buch der populären Philosophie kauft und liest, kann das Glück haben, dass eigene Bekannte oder Freund:innen es ebenfalls gelesen haben. Dann gibt es Gesprächspartner. Ansonsten bleibt man mit dem Gelesenen und den eigenen Gedanken dazu für sich allein. Das ist natürlich kein spezifisches Problem der populären Philosophie. Auch wenn man einen Roman oder ein Buch über die Relativitätstheorie oder die Geschichte des Mittelalters liest, kann es einem passieren, dass man ohne jede Gesprächspartnerin dasteht. Ich möchte auch nicht unterstellen, dass die intellektuelle Debatte in der Philosophie wichtiger ist als in allen anderen Bereichen, aber sie ist wichtig.

Man könnte hier nun fragen, inwiefern diejenigen, die populäre Philosophie lesen (oder die, die intendierten Leser:innen sind), in die institutionalisierten Formen der akademischen Debatte einbezogen werden sollen. Vermutlich gibt es keine solche epistemische oder moralische Verantwortung (anders als etwa in Bezug auf marginalisierte Gruppen über die geschrieben wird). Die Vereinzelung und diskursive Armut der Leser:innen populärer Philosophie ist aber nicht unproblematisch. Man sollte auf sie zumindest reflektieren, selbst wenn die einzelne Philosophin wenig zur Besserung beitragen könnte. Populäre Philosophie vermittelt Wissen über die Welt und oft reflexives Wissen, welches die Leserin dazu anregt (bzw. befähigt) über sich selbst und die eigene Position in dieser Welt nachzudenken. Populäre Philosophie präsentiert mitunter auch (moralisches) Veränderungswissen, wie die Welt und das eigene Handeln besser werden könnten. Beide Formen, also Wissen über die Welt (und einem selbst) und Wissen, wie die Welt (und man selbst) besser werden könnten, drängen von sich aus dazu, dass man sich darüber mit anderen austauscht. Es ist eine epistemische Tugend, Wissen nicht einfach nur zu rezipieren, sondern auch dieses kritisch zu reflektieren. Eine Tugend, die besser gelingt, wenn man nicht alleine ist. Gerade, wenn man Wissen auf sich selbst bezieht, ist das sinnvoll, die eigene Position und die eigenen Intuitionen zu hinterfragen (und von anderen Gesprächspartner:innen hinterfragen zu lassen). Nachdem die populäre Philosophie weder in sich, noch im Verhältnis zu allen anderen Wissensquellen, eine kohärente Weltdeutung präsentiert, ist es sinnvoll, ja geradezu nötig, Argumente abzuwägen. Diese Aufgabe ist durchaus anspruchsvoll. Sie kann aber nicht an Texte delegiert werden, sondern erfordert den direkten Austausch. Deshalb gibt es auch philosophische Seminare und Tagungen, weil es eben nicht ausreicht, Student:innen einfach zwei Texte (oder Fernsehinterviews) mit konträren Meinungen zu einem Thema vorzulegen (eventuell sogar noch einen philosophischen und einen ökonomischen). Da die populäre Philosophie ja auch (wenig, aber doch) Einfluss auf soziale und politische Prozesse haben kann – (zum Beispiel in dem sie dazu beiträgt, Meinungen zur Tierethik auszubilden) – geht es hier auch nicht nur um ein intellektuelles l’art pour l’art. Gerade diese Selbstzentrierung will die populäre Philosophie ja überwinden. Dazu kommt, und das scheint mir wichtig, dass (populäre) Philosophie durchaus deprimierend sein kann. Sie präsentiert einem nämlich relativ deutlich, dass die Welt ziemlich ungerecht ist, wir vieles nicht wissen, und insbesondere wenig darüber, wie tatsächliche Veränderungen, gelingen könnten. Das zu verarbeiten, gelingt auch besser, wenn man es nicht alleine tun muss. (Nicht vergessen werden sollte, dass populäre Philosophie zwar hauptsächlich eine gut situierte Leserschaft findet, aber durchaus Menschen in sozioökonomisch schwacher Position diese rezipieren.)

Was also tun? Man kann in drei Richtungen über Lösungen nachdenken. Erstens kann man fragen, wie die Universität als Institution oder andere Institutionen der akademischen Philosophie – zum Beispiel Fachgesellschaften oder Tagungen – Räume für diese intellektuellen Debatten schaffen können, eventuell auch Räume, die nicht dem klassischen Format von Diskussionsveranstaltungen mit einer Profiphilosophin oder der universitären Lehre folgen. Zweitens sollten auch Debattenräume außerhalb der Universität zur Verfügung stehen. Da kann man an hausbackene und angestaubte Bildungsveranstaltungen von Parteien, Gewerkschaften und Kirchen denken. Sehr viel wichtiger schiene mir aber, Menschen dazu zu animieren, untereinander mehr über populäre Philosophie – und viele andere Themen der Forschung – ins Gespräch zu kommen. Lesezirkel und Lesekreise braucht das Land! Nicht um sich gegenseitig die eigene Klugheit oder Belesenheit unter die Nase zu reiben – etwas, das leider auch in der akademischen Philosophie zu häufig passiert –, sondern um der intellektuellen Vereinzelung entgegen zu wirken. Ich habe die starke Vermutung, dass es auch handfeste Gründe und ideologische Interessen gibt, diese intellektuellen Debatten und kritische Geistigkeit nicht zu fördern – Stichworte: Neoliberalismus, Fake News und ökonomische Verengung von Wissen und Kultur. Die Universität bildet eine ganze Reihe an Menschen aus und wenn sie eben nicht nur eine Ausbildungsstätte sein will, sondern ein Ort kritischer Diskussion, dann sollte sie mehr dafür tun, solche intellektuellen Debatten im privaten Raum zu fördern und die Student:innen dazu ermächtigen und einzuladen, das beizubehalten, wenn sie die Universität verlassen. Für alle jene, die die Universität nicht besuchen – zum Großteil, weil sie aus strukturellen Gründen davon ausgeschlossenen sind – bedarf es anderer Formen der Intervention, zum Beispiel im Rahmen der Institution Schule. Ansonsten bleibt auch die populäre Philosophie unvollständig und ein passives Vergnügen ohne intellektuelle Debatte unter ihren Leser:innen. 

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