Die neue Sichtbarkeit der Lehre. Eine Zwischenbilanz zur philosophischen Lehre in Zeiten der Pandemie

von Daniel Kersting (Jena) und Michael Reder (München) Heute beginnt das neue Semester – bei vielen sicherlich mit gemischten Gefühlen. Eigentlich sollte das Wintersemester als ein „Hybrid-Semester“ stattfinden: So viel Präsenzlehre wie möglich, soviel Distanzlehre wie nötig. Doch die Infektionszahlen steigen rapide an und vielerorts startet das Semester nun doch…

Das Nichtwissen über die Verfasstheit unseres Geldes

von Simon Derpmann (Münster) Henry Ford wird ein Bonmot zugeschrieben, gemäß dem wir angesichts des Nichtwissens über die Verfasstheit unseres Geldes erleichtert sein sollten, bzw. darüber dass die meisten Menschen die Funktionsweise des Geldwesens nicht thematisieren oder nur unvollständig begreifen: „it is well enough that people of the nation do…

„Ist das überhaupt noch ‚Ethik‘?“ – Nicht-philosophische Methoden in der interdisziplinären Medizinethik

von Marcel Mertz (Hannover) Als ich damals – vor über 15 Jahren – meine erste Stelle als studentische Hilfskraft an einem Medizinethik-Institut antrat, beschlich mich rasch ein konsternierendes Gefühl. Ich arbeitete zwar an einem Institut mit der Bezeichnung „Ethik“, konnte aber kaum etwas wiedererkennen, was ich mit meinen bisherigen Semestern…

Die Coronamüdigkeit der Philosophie, oder: wie soll die Zukunft aussehen?

von Gottfried Schweiger (Salzburg) Die COVID-19 Pandemie ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Der kurze Sommer der Erleichterung ist dem Herbst der Ernüchterung gewichen. Alle blicken gebannt und gespannt, manche ängstlich, viele genervt, in die nahe Zukunft des Winters. Die Pandemie hat bislang gezeigt, was Philosophie kann und zeigt jetzt…

Vehikel der Unmittelbarkeit: Gedankenexperimente und Erkenntnis

Von Alexander Fischer (Basel) Wir kennen Gedankenexperimente als kurze, im Kontext philosophischer Argumentation strategisch eingesetzte Narrative[i], die darauf abzielen, möglichst alle relevanten Aspekte einer Problemstellung zu vergegenwärtigen, Muster aufzuzeigen und Lösungsrichtungen innerhalb eines Arguments einsehbar zu machen. Das berühmte Höhlengleichnis Platons, das Straßenbahn-Dilemma Philippa Foots oder John Rawls’ Szenario vom…

Hegel für uns

Von Christine Weckwerth (Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften) Hegels zweihundertfünfzigster Geburtstag ist ein, wenngleich rein biographischer Anlass zu fragen, wie wir es mit diesem Klassiker der deutschen Philosophie denn halten. Beginnt mit seiner Philosophie die kritische Selbstvergewisserung der Moderne oder ist sie als ein gescheitertes Theorieprogramm anzusehen? Ein Streitpunkt zwischen Hegelfreunden…

Der praktische Nutzen des Ideals. Die Relevanz idealer Theorie zur Bewertung politischer Optionen­

Von Jürgen Sirsch (Bamberg) Wie sollte man aktuelle gesellschaftliche Zustände bewerten? Wie sollte man beurteilen, in welche Richtung wir uns bewegen sollten, wenn wir aktuelle Zustände verändern wollen? Ideale Theorie liefert Antworten auf diese Fragen. In idealer Theorie stellen wir systematisch Überlegungen darüber an, wie eine gerechte Gesellschaft aussehen könnte…

Videoblog-Wettbewerb für Student*innen: Darf man heute noch Kinder haben?

Fast alle Menschen haben im Laufe ihres Lebens Kinder. Für viele gehören eigene Kinder zu einem erfüllten Leben. Doch ist es angesichts einer immer weiterwachsenden Weltbevölkerung, die immer mehr Ressourcen verbraucht, und der Auswirkungen der Klimakrise heute überhaupt noch moralisch vertretbar, Kinder zu haben? Und wenn es besser wäre, weniger…

Engels 2020 – Festjahr in Zeiten der Pandemie

Von Nikolai Plößer (Wuppertal) Als im Februar des Wuppertaler Festjahres zum 200. Geburtstag von Friedrich Engels die erste Ankerveranstaltung stattfand – der internationale Kongress Die Aktualität eines Klassikers –, war die Corona-Krise eben erst im Ausbruch. Aus Pandemieschutzgründen durften unsere Gäste aus Beijng, Guangzhou und Nanjing nicht anreisen, weitere Tagungen…

Von fallenden Steinen und träumenden Menschen

Von Mathis Lessau (Freiburg) Gedankenexperimente haben etwas Mysteriöses an sich. Da sitzt der Philosoph mit zugezogenen Vorhängen in seinem sprichwörtlichen Lehnstuhl und nutzt nichts weiter als das Laboratorium des Geistes, um neues Wissen über die Wirklichkeit zu generieren. So zumindest könnte es scheinen angesichts der enormen Überzeugungskraft, die von einigen…

Covid-19 und die vulnerablen Alten

Von Nina Streeck (Zollikerberg) Wer in den vergangenen Monaten die Zeitung aufschlug, um sich über das Coronavirus zu informieren, dem fiel wiederholt eine Wendung ins Auge: Von «vulnerablen Personengruppen» war (und ist) die Rede, meist verstanden als Gruppen von Menschen, die ein erhöhtes Risiko tragen, dass eine Covid-19-Erkrankung bei ihnen…

Anmerkungen zur Frage der moralischen Beurteilbarkeit von Kunstwerken

Von Daniel Martin Feige (Stuttgart) Der Streit um Eugen Gomringers „Avenidas“, die Kontroversen um den Literaturnobelpreis für Peter Handke oder die Hinweise auf das problematische Frauenbild Bukowskis haben einmal mehr in Erinnerung gerufen, dass auch die autonome Kunst scheinbar so autonom nicht ist: Besteht die Erfahrung eines Kunstwerks darin, sich…

Anerkennung und Armut

Von Gottfried Schweiger (Salzburg) Anerkennung hat sich in den letzten Jahren als ein zentrales Konzept in der politischen Philosophie und Sozialphilosophie etabliert. Ausgehend von seiner Verwendung bei Fichte und Hegel und insbesondere durch seine Aktualisierung im Werk von Axel Honneth, aber auch bei Denkerinnen wie Nancy Fraser oder Charles Taylor,…

Über die vermeintliche Heuchelei von Klimaschutzaktivist*innen und individuelle Pflichten zum Klimaschutz

Von Christian Baatz (Kiel) Vor Ausbruch der Corona-Krise war Klimaschutz in aller Munde, die Jugend forderte Regierungen lautstark zum entschiedenen Handeln auf. Aber muss auch jede/r Einzelne ihren oder seinen Beitrag zum Klimawandel reduzieren? Greta Thunberg, Initiatorin der Fridays for Future (FFF) Bewegung, versucht mit der gleichen Unnachgiebigkeit, mit der…

Diskriminierung durch maschinelles Lernen

Von Heiner Koch (Duisburg-Essen) Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Aufsatz, der im Schwerpunkt “Diskriminierung” in der Zeitschrift für Praktische Philosophie erschienen ist. Maschinelles Lernen – oft auch als Künstliche Intelligenz verhandelt – birgt die Gefahr von neuen Formen der Diskriminierungen, die darüber hinaus auch noch schwer erkennbar sein können. Der…

Ich sehe was, was du nicht siehst

von Svenja Springer (Vet-Med Uni Wien) In den letzten Jahrzehnten erfreut sich die empirische Ethik einer steigenden Popularität. Doch die Frage was Methoden der empirischen Sozialwissenschaften in der angewandten Ethik leisten können, bleibt dennoch kontrovers diskutiert. In dem folgenden Podcast werden Potenziale und Grenzen der Einbindung gewonnener Daten und Fakten…

Pfingsten – oder wie das Christentum seinen religiösen Wahrheitsanspruch und die Toleranz Anderen gegenüber miteinander verbindet.

Von Martin Wendte (Pfarrer der Friedenskirche und Citykirchenpfarrer, Ludwigsburg) Einstieg: Buddhistische Bäuche und saudi-arabische Gefängnisse – wie erleben wir die Zuordnung von Toleranz und Wahrheit im Bereich der Religion? Zwei Szenen zum Einstieg: Von den Bücherregalen vieler Menschenfreunde aus dem sozialökologischen Milieu grüßt eine Buddhafigur. Da sitzt er, der Erleuchtete,…

Betrachtungen zum gelingenden Altern: Salutogenetische Perspektiven

von Ulrich Wiesmann (Universitätsmedizin Greifswald) Einleitung Nach Variante 4 der 14. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung befinden wir uns schon seit geraumer Zeit auf dem Weg in eine „alternde“ Gesellschaft. Dieser Trend wird in den nächsten vierzig Jahren seine Fortsetzung finden. Waren im Jahr 2018 13% der deutschen Bevölkerung zwischen 67 und 79…

Das Überlegungsgleichgewicht – Was genau ist das?

Von Georg Brun (Bern) Eine Ethikerin vertritt das Prinzip Die Interessen aller Personen zählen gleich. Aber sie glaubt auch, es sei erlaubt, die eigenen Kinder bevorzugt zu behandeln. Das ist ein Problem: ihre Überlegungen sind nicht im Gleichgewicht, weil das Prinzip und ihr intuitives Urteil über Einzelfälle nicht übereinstimmen. Begründete…

„Disabled lives matter“ – Diskriminierung behinderter Menschen durch Pränataltestung?

Von Regina Schidel (Frankfurt am Main) Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Aufsatz, der im Schwerpunkt “Diskriminierung” in der Zeitschrift für Praktische Philosophie erschienen ist.  „[W]ir wollen nicht mehr abgetrieben werden, sondern auf der Welt bleiben.“ (Dedreux 2019) Vor einem guten halben Jahr wurde durch den Gemeinsamen Bundesausschuss – dem höchsten politischen…

Zur Aktualität Hegels: Hegel als Denker des Anthropozäns

von Stascha Rohmer (Medellín) Im Zentrum eines jüdischen Witzes, der Schopenhauer und Beckett gleichermaßen faszinierte, steht das problematische Verhältnis der Welt zu einer Hose. Ein Mann geht zum Schneider und beschwert sich: „Gott hat die Welt in sechs Tagen erschaffen, und Sie brauchen sechs Monate, um eine Hose zu machen.”…

Der richtige Weg ist kein Spaziergang. Warum das Überlegungsgleichgewicht zur Rechtfertigung unserer moralischen Urteile führen kann

Von Claus Beisbart (Bern) Methode – das ist der richtige Weg. In der Praktischen Philosophie denken viele, das sei das Überlegungsgleichgewicht. Doch über diesen Weg wird auch gemäkelt. Einige sagen, er führe nicht hoch genug hinaus. Andere denken, er beginne bei einem ungeeigneten Ausgangspunkt – der Intuition. Aber die Einwände…

Engagiert und hoffnungslos: Philosophieren am Ende der Welt (wie wir sie kennen)

Von Ana Honnacker (Forschungsinstitut für Philosophie Hannover) Im Sommer 2019 saß ich schwitzend am Schreibtisch und zweifelte zunehmend die Sinnhaftigkeit meines Tuns an. Die Aussicht darauf, ein mehrjähriges Schreibprojekt zu verfolgen, während das Zeitbudget, das der globalen menschlichen Gemeinschaft bleibt, um ihre Treibhausgasemissionen auf Null zu bringen, ähnlich rasant dahinschmilzt…

Alter und Zeit

Von Kay Herrmann (Chemnitz) Alter und Altern sind unweigerlich an Zeit gebunden. Doch was ist überhaupt Zeit? Warum scheint Zeit einmal langsamer, ein andermal schneller zu vergehen? Kann man den beharrlichen Strom der Zeit überlisten und Möglichkeiten finden, das Altern zu umgehen? Was sagt die Physik zu Thema der Zeitreisen?

Der universitäre Mittelbau und die Corona-Pandemie

„Generell wären alle äußeren Umstände nicht so belastend, wenn man unbefristet angestellt wäre“[1] von Andrea Klonschinski (Kiel) 1. Einleitung Mit Arbeit im Homeoffice, abgesagten Konferenzen, digitaler Lehre und Online-Prüfungen liegt ein außergewöhnliches Semester hinter uns. Für den Großteil des wissenschaftlichen Personals war es auch ein außergewöhnlich arbeitsintensives und belastendes Semester,…

Bloße Toleranz? Anmerkungen zur pädagogischen Ablehnung der Ablehnungskomponente

Von Johannes Drerup (Dortmund & Amsterdam) Der Begriff der Toleranz führt – ganz ähnlich wie der Begriff der Bildung – in öffentlichen Debatten einer Art „Doppelleben“[1]. Einerseits gilt Toleranz als ein mögliches Allheilmittel für alle nur denkbaren gesellschaftlichen Probleme, andererseits ist die spezifische Relevanz und Bedeutung von Toleranz sowohl mit…

250 Jahre Hegel – (K)eine Würdigung

Von Marc Nicolas Sommer (Basel) Es ist Jubiläumsjahr: Neben Beethoven und Hölderlin feiert auch Hegel dieses Jahr seinen 250. Geburtstag. Grund genug für eine Würdigung. Eine solche aber läuft meistens auf die, wie Theodor W. Adorno anlässlich eines früheren Hegeljubiläums schrieb, „abscheuliche Frage“ hinaus, was an Hegel der Gegenwart noch…