Hannah Arendt und das „postfaktische Zeitalter“

von Judith Zinsmaier (Tübingen) Mit dem 2016 von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres gewählten Begriff „postfaktisch“ soll dieser zufolge eine Situation beschrieben werden, in der sich die politischen Debatten nicht mehr an Fakten und Wahrheiten orientieren, sondern an Emotionen. Nicht das Aussprechen der Wahrheit, sondern dasjenige…

Wissenschaftssprachen und Businessmodelle

von Christoph Schirmer (Berlin, de Gruyter) Zeitschriftenartikel werden in der Philosophie immer wichtiger. Die regelmäßigen Evaluierungen von Wissenschaftler*innen und Instituten verlangen nach hochfrequentem Output, der mit Büchern in der Regel nicht erbracht werden kann. Auch die Teammitglieder langjähriger Forschungsprojekte, die z.B. von der ERC gefördert werden, bringen ihre jeweiligen Forschungsergebnisse…

Eine Dosis Populismus gefällig?

von Thomas Plieseis (Salzburg) Im Jahr 2000 ging ein Aufschrei durch die demokratischen Länder Europas und der westlichen Welt. Die Europäische Union sah sich zum ersten Mal mit einer Regierung in der eigenen Reihe konfrontiert, die zum Teil aus einer populistischen Partei bestand. Die Rede ist von der Regierungsbeteiligung der…

Tagungskomplikationen – Moralische Erpressung

von Gottfried Schweiger (Salzburg) Ich glaube, ich wurde Opfer einer moralischen Erpressung. Zumindest bin ich unverschuldet in eine etwas unangenehme Situation geraten. Aber was war geschehen? Als ich vor ein paar Tagen auf dem Weg in den Urlaub am Flughafen noch kurz meine E-Mails las – ein Blogbeitrag über die…

Naturalismus, Ontologie und Geschichte bei Marx. Eine Metareplik

Von Kurt Bayertz (Münster) In seiner Replik auf meinen in diesem Blog erschienenen Marx-Beitrag, sowie auf mein Buch Interpretieren, um zu verändern[1], hat Urs Lindner drei zentrale Thesen meiner Überlegungen hervorgehoben und als „überaus fragwürdig“ charakterisiert. Bevor ich auf seine Kritik an diesen Thesen zu sprechen komme, möchte ich zwei…

Seid einfach unbequem

Christoph von Eichhorn (München) „Die Beschäftigung ist rauf, die Steuern sind runter. Viel Spaß!“ twitterte US-Präsident Donald Trump kürzlich („Employment is up, Taxes are DOWN. Enjoy!“). Alles bestens, genießt es doch einfach! Maximale Vereinfachung und Verkürzung. Maximale Wirkung. Vereinfacher wie Trump haben weltweit gerade Erfolg. Aber es geht um mehr…

Philosophiezeitschriften: wofür sie gebraucht und wie sie gemacht werden könnten

Von Gottfried Schweiger (Salzburg) Zeitschriften erfüllen zumindest drei Funktionen für Philosoph_innen: Sie bieten den Autor_innen die Möglichkeit, ihre Texte zu veröffentlichen. Sie bieten den Herausgeber_innen die Möglichkeit, die Texte anderer zu veröffentlichen. Sie bieten den Leser_innen (aka der peer group, weil wer anderer ist es meistens nicht) die Möglichkeit, diese…

Populäre Moralphilosophie und moralische Expertise

von Frauke Albersmeier (Düsseldorf) und  Alexander Christian (Düsseldorf) Öffentliches Interesse an Philosophie richtet sich häufiger als auf die Probleme der theoretischen auf jene der praktischen Philosophie. Fragen nach den Grenzen des Wissens oder dem Wesen von Emotionen werden eher an Psychologen und Kognitionswissenschaftler, solche nach der Beschaffenheit der Welt an…

Bedrohte akademische Freiheit. Der Fall Central European University

von Alexander Reutlinger (München) Seit einem Jahr steht die Central European University (CEU) in Budapest unter hohem Druck, ja letztlich droht ihre Schließung. Grund dafür ist ein 2017 von der ungarischen Regierung verabschiedetes Gesetz („Lex CEU“). Dieser Vorgang ist ein – zumindest in der EU – beispielloser Angriff auf eine…

Das Postfaktische und der Perspektivismus

von Dieter Thomä (St. Gallen) Die Herausgeber dieses Blogs schreiben: „Postfaktisches Denken […] scheint für die Demokratietheorie eine erhebliche Herausforderung darzustellen.“ Bei allem Respekt erlaube ich mir hier Widerspruch anzumelden. Er richtet sich nicht gegen den Befund, dass die Demokratie – also auch die Demokratietheorie – heute vor enormen Herausforderungen…

Wer einmal foult… Über einige Besonderheiten des unfairen Spiels

von Andreas Hütig (Mainz) „Brutal gut“, „Vorbildlich böse“ – so oder ähnlich betitelten deutsche Qualitätszeitschriften oder Nachrichtenmagazine Berichte und Kommentare zum diesjährigen Champions-League-Finale der Männer. Als wichtigster Akteur, auf den sich dann auch diese Bezeichnungen bezogen, wurde wieder einmal Sergio Ramos, der Kapitän von Real Madrid (und der spanischen Nationalmannschaft),…

Populäre Subdisziplin: Film als Philosophie

von Susanne Schmetkamp (Basel) Philosophische Texte, so schreiben die Kollegen Cox und Levine, seien oft «as dry as a desert», staubtrocken also, wie Wüstensand, der einem das Atmen erschwert, die Stimme verschlägt, die Augen trübt. Dabei soll uns Philosophie doch gerade eine Stimme verleihen, die Augen öffnen, den Blick klären für…

Das Geheimnis des Fußballs: Homosexualität und Patriotismus

von Norbert Paulo (Salzburg und Graz) „Manchmal frag‘ ich mich wirklich, was macht Fußball so attraktiv? Wenn mal wieder ein Spiel 0:0 ausging und fast jeder Angriff lief schief. Das kann doch nicht nur sportliche Gründe haben, wenn man Fußball so sehr liebt. Also woran kann es liegen, dass man…

Marx’ naturalistischer Materialismus. Eine Replik auf Kurt Bayertz

von Urs Lindner (Erfurt) In denjenigen Teilen der Sozial- und Kulturwissenschaften, die sich als kritisch verstehen, hat in den letzten Jahren ein erstaunlicher Wandel stattgefunden. Wo Poststrukturalismus und Sozialkonstruktivismus über mehrere Jahrzehnte dominierten, wollen viele Autor*innen nun auf einmal ‚materialistisch’ sein. Das Versprechen, dieses Bedürfnis zu befriedigen, liefern eine Reihe…

Über Bücher schreiben. Utopie und Alltag einer Online-Zeitschrift

von der Redaktion der Zeitschrift für philosophische Literatur In diesem Herbst wird die Zeitschrift für philosophische Literatur (www.zfphl.de) ihren fünften Geburtstag feiern. Wenn unsere Rezensent_innen und Gutachter_innen weiterhin mit so großem Enthusiasmus und Fleiß zu Werke gehen wie bisher, werden wir dann etwa 150 Rezensionen neuer Bücher veröffentlicht haben. Diese…

Die postfaktische Demokratie und ihre Kritiker

von Veith Selk (Darmstadt) Verfolgt man die gegenwärtig im Feuilleton und in der Wissenschaft ausgetragene Debatte über den Zustand der westlichen Demokratien, kann dabei der Eindruck entstehen, den Demokratien kämen die Tatsachen abhanden. Nimmt man die dominanten Selbstbeschreibungen der Demokratien beim Wort, wäre das in der Tat problematisch, ist doch…

Nibelungentreue im Fußball

von Martin Gessmann (Offenbach) Der Fußball hat in den vergangenen zehn oder fünfzehn Jahren unglaubliche Fortschritte gemacht. Der Sport ist athletischer und schneller geworden, Aktionen wurden theatralischer, die Taktiken überlegter und alles um den Fußball herum einen Schuss professioneller. In der Philosophie hat das bislang vor allem die Ästhetiker auf…

Fußball als existenzielle Kontingenzperformanz

von Thomas Bedorf (Hagen) Vom Trainer des FC Liverpool Bill Shankley ist das Bonmot überliefert, dass Fußball keinesfalls eine Angelegenheit von Leben und Tod, sondern viel ernster sei. Niemand, der die Kontingenz des Fantums für eine bestimmte Mannschaft kennt, das immer mit vollkommener Frag- und Alternativlosigkeit einhergeht; sich an aussichtlosen…

Retourgang. Von der Exzellenz zur Konvenienz

von Herbert Hrachovec (Wien) Die „European Science Foundation“ (ESF) hat ab 2002 den Versuch unternommen, eine Qualitätsprüfung sämtlicher europäischer Fachjournale in den Humanwissenschaften in die Wege zu leiten. An das traurige Schicksal des Vorhabens ist zu erinnern. Dann wird berichtet, was weiter aus ihm geworden ist. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung…

Mit der Fanfare philosophieren

von Urs Siegfried (Zürich) Die Welt hat mehr Philosophie verdient. Und der Philosophie würde ein bisschen mehr Welt auch nicht schaden. Darum: Philosophinnen und Nicht-Philosophen dieser Welt, vereinigt euch! Ein Plädoyer für eine Philosophie, die sich ins Getümmel stürzt.

Wind mit Feuerzungen: Zur Sprache philosophischer Zeitschriften

von Petra Gehring (Darmstadt) 1. Zu Beginn ein Vergleich. Die Lage deutschsprachiger philosophischer Zeitschriften ähnelt einer Wanderung, die sich nicht aufschieben lässt – im Dunkeln, während Blitzeis sich einstellt und mit unpassendem Schuhwerk. Massive Randbedingungen wirken sich auf jede Bewegung unvorhersagbar aus. Wobei die Randbedingungen je für sich Veränderungen sind.…

Die doppelte Religionskritik bei Marx

von Christoph Henning (Erfurt) Bereits der junge Marx hat wichtige Beiträge zur Kritischen Theorie verfasst: neben einer Kritik des Rechts und der Politik etwa eine Kritik der Religion. Diese hängt eng mit einer Auseinandersetzung um die Pressefreiheit als Motor der Demokratisierung zusammen, die Marx zuvor geführt hatte. Zum einen waren…

Eine klare Sache: für eine populäre Philosophie

von Michael Hauskeller (Liverpool) Populäre Philosophie, das ist fast ein Schimpfwort in manchen akademischen Kreisen. Man muß sich fast schämen, einmal etwas Populäres veröffentlicht zu haben. Populäre Philosophie ist Philosophie für das Volk, die vielen, die breite Masse, und was jeder versteht, so meint man, ist auch nicht wert verstanden…

Herausforderung Neugründung einer philosophischen Fachzeitschrift

von Martin Hähnel (Eichstätt), in Absprache mit den Herausgeber_innen der Zeitschrift für Ethik und Moralphilosophie Kurz über uns Die Gründung einer philosophischen Fachzeitschrift wie der Zeitschrift für Ethik und Moralphilosophie (kurz: ZEMO) ist eine Herausforderung besonderer Art, da der Markt, vor allem der internationale, für Zeitschriften auf diesem Gebiet annähernd…

Nationalspieler als Soldaten

von Norbert Paulo (Salzburg und Graz) Eigentlich wollten wir den Fußball-Themenblock ja erst beginnen, wenn die Saison mit dem Finale der Champions League beendet ist und endlich die Weltmeisterschaft in Russland vor der Tür steht. Aber nun liefern die Reaktionen auf ein Treffen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit…

Philosophie im Kinosessel

von Andrea Klonschinski (Kiel) Philosophische Filmreihe als populäre Philosophie Philosophische Themen auf eine unterhaltsame Art vermitteln und mit einem breiteren, nicht unbedingt philosophisch vorgebildeten Publikum diskutieren – geht das? Ja, das geht – und zwar sehr gut! Diese Erfahrung habe ich zumindest mit der philosophischen Filmreihe „Filmisches Philosophieren“ gemacht, die…