Wie egoistisch ist der Mensch? Gottfried Wilhelm Leibniz über Eigennutz, Motivation und Nächstenliebe

Von Julia Borcherding (Cambridge) und Julia Jorati (Amherst) Kann der Mensch völlig selbstlos handeln? Manche bezweifeln das und behaupten, alle unsere Handlungen und Entscheidungen seien letzten Endes eigennützig. Wenn jemand zum Beispiel Geld spende oder anderen Menschen helfe, tue er das hauptsächlich für das gute Gefühl, das es ihm bringt—oder…

Ist es moralisch relevant, ein Kind zu sein?

Anlässlich der Veröffentlichung des Handbuch Philosophie der Kindheit (J.B. Metzler 2019) bringt praefaktisch Texte zur Philosophie der Kindheit. von Johannes Giesinger (Zürich) Im alltäglichen moralischen Diskurs wird bisweilen angemahnt, jemand solle nicht so hart angegangen werden, „weil er noch ein Kind sei“. Der gleiche Grund wird teils angegeben, um paternalistische und pädagogische…

Der Mythos von der sexuellen Überwältigung

von Almut Kristine von Wedelstaedt (Bielefeld) Sex hat oft mit einem Kontrollverlust zu tun hat. Es fühlt sich manchmal so an, als würde man von sexueller Lust überwältigt, so dass man sich dieser nur ergeben kann. Das ist einerseits etwas, was Sex schön machen kann. Es ermöglicht einer unter Umständen,…

Philosophie und Geschichte der Philosophie. Überlegungen zu einer “philosophischen” Geschichte der Philosophie

Von Laura M. Castelli (München) In dem Dialog, der das letzte Gespräch von Sokrates im Kreise seiner engsten Freunde vor seinem Tod darstellt, skizziert Platon eine Art philosophische Biographie von Sokrates selbst: nach seiner jugendlichen Begeisterung für die „Weisheit“ (sophia), „welche man die Naturkunde (peri physeos historian) nennt“, und nach…

Erziehung zum Wutbürger?

von Douglas Yacek & Yannik Hehemann (Hannover) Ein wütend beleidigender Twitter-Präsident, ein zorniger Mob, der die Rede eines rechten Provokateurs mit Molotowcocktails zu verhindern sucht, Alternativrealitäten in sozialen Medien, Fackelzüge in deutschen Städten, Pussy Riot, tief entlang Parteilinien gespaltene Medienlandschaften in den USA, ein bis zur Dysfunktionalität zerstrittenes Unterhaus in…

Bedenken first!

Von Hauke Behrendt (Stuttgart) „Flieg immer auf der mittleren Straße, Ikarus”, riet er, „damit nicht, wenn du zu tief gerätst, die Fittiche das Meerwasser streifen und, feucht und schwer, dich in die Wogen hinabziehen. Ebenso gefährlich aber ist es, wenn du zu hoch in die Luft steigst und dein Gefieder…

Geld und Babys: Leihmutterschaft und die Kosten der sozialen Reproduktion

von Anna Schriefl (Bonn) Welche Dinge dürfen Geld kosten? Und welche Dinge sollten auf keinen Fall kommerzialisiert werden? Mit besonderer Heftigkeit wird immer wieder diskutiert, ob Menschen sexuelle Dienste für Geld anbieten und kaufen dürfen, also ob Sexarbeit legal sein darf oder nicht. Dieselbe Debatte findet neuerdings mit Blick auf…

Demokratische Erfahrungen in der Diskussion. Eine Replik auf Ole Hilbrich.

von Johannes Drerup (Amsterdam) Meines Erachtens wird in der gegenwärtigen deutschsprachigen Erziehungs- und Bildungsphilosophie zu wenig diskutiert, d.h. es gibt nicht sonderlich viele kontinuierliche, aufeinander aufbauende und über längere Zeiträume verlaufende Debatten und Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Positionen.[i] Auch deshalb freue ich mich über die interessante und konstruktive Kritik von Ole…

Darf man biologische Kinder bekommen?

Anlässlich der Veröffentlichung des Handbuch Philosophie der Kindheit (J.B. Metzler 2019) bringt praefaktisch Texte zur Philosophie der Kindheit. von Ezio Di Nucci (Kopenhagen) Nein, ich habe mich nicht verschrieben. Die Frage, die ich hier gerne stellen – und ansatzweise beantworten – möchte, ist nicht, ob es moralisch erlaubt sein sollte, nicht-biologische Kinder…

Pornographie und befreite Sexualität

von Anne Weber (Lübeck) Pornographie, d.h. die graphische und literarische Darstellung menschlicher Sexualität im Dienste sexueller Erregung, ist so alt, wie die Menschheit selbst. Ob an Höhlenwänden, auf Bildern, VHS-Kassetten, im Internet oder mit virtual-reality-Brille, pornographische Artefakte sind zeiten-, länder- und kulturübergreifend präsent. Es ist zunächst auch jenseits ethischer oder…

Interview mit Kirsten Meyer

Kirsten Meyer ist seit 2011 Professorin für Praktische Philosophie und Didaktik der Philosophie am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie hält einen der beiden Plenarvorträge auf der VII. Tagung für Praktische Philosophie, die 26. und 27. September 2019 an der Universität Salzburg stattfindet. prae|faktisch:  Was würden Sie heute machen,…

Bildung zum Streit und zum gemeinsamen Widerstreit – eine Skizze

von Miguel Zulaica y Mugica (TU Dortmund) Die Frage, wofür Bildung, scheint quasi selbsterklärend und die Antwort, um ein gutes, selbstbestimmtes Leben zu führen, ist wohl kaum strittig. Wäre da nicht die Unbestimmtheit dessen, was genau ein gutes und selbstbestimmtes Leben sein soll und was Bildung dazu beitragen soll. In…

Die ethische Relevanz des Geldes

von Edeltraud Koller (Frankfurt a. Main) Die Wirtschaftswissenschaften verstehen Geld herkömmlich recht nüchtern als Mittel, um verschiedene Waren und Dienstleistungen zu tauschen und deren Wert festzulegen. Das Geld erleichtert den Austausch, weil Güter verkauft bzw. gekauft werden können, ohne auf den direkten Tausch Ware gegen Ware angewiesen zu sein. Es…

Das Theodizeeproblem oder ein Problem mit der Theodizee? Was passiert mit klassischen Fragen, wenn wir die Religionsphilosophie neu denken?

von Amber L. Griffioen (Konstanz) Wer mal eine Einführung in die „klassischen Debatten“ der Religionsphilosophie besucht hat, ist wahrscheinlich über den Begriff Theodizee gestolpert. Grob gesagt ist eine Theodizee der Versuch, den allmächtigen, allwissenden, allgütigen Gott des sogenannten klassischen Theismus angesichts der Übel in der Welt zu rechtfertigen. Etwas weniger…

Kinder ohne Stimme: Andrzej Wajdas Film „Korczak“

Anlässlich der Veröffentlichung des Handbuch Philosophie der Kindheit (J.B. Metzler 2019) bringt praefaktisch in den nächsten Wochen ein paar Texte zur Philosophie der Kindheit. von Martina Winkler (Kiel) Spätestens seit dem 19. Jahrhundert ist das Konzept der Kindheit in der westlichen Welt höchst emotional aufgeladen; Autoren und Autorinnen der Kindheitsgeschichte…

Fatalismus 4.0 – eine Polemik

von Birgit Beck (Berlin) „ANN, AAL, LMAA…“ (frei nach den Fantastischen Vier) Digitalisierung macht alles besser. Noch viel besser macht alles Künstliche Intelligenz (KI). Vielleicht nicht für die tausenden von Mitarbeiter*innen der großen Automobilkonzerne, die in absehbarer Zeit ihre Arbeitsplätze verlieren werden, aber womöglich doch für die Verkehrsteilnehmer*innen, die bald…

Medienbildung und anthropomorphe Maschinen

von Tobias Hölterhof (Köln) Vor wenigen Woche veröffentlichte ein Startup-Unternehmen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz ein Video auf YouTube. Zu sehen sind zunächst zwei Menschen: Ein Mann und eine Frau stehen bewegungslos da. Sie blicken die Zuschauenden des Videos posend an und tragen lässige Kleidung. Der Mann ist mit…

Ist die Alternative „Pornografie“ tatsächlich Pornografie?

von Natascha Bencze (Zürich) Hinsichtlich des unbestreitbar grossen Einflusses, den der sexuelle Trieb auf unser Leben hat, scheinen den philosophischen Auseinandersetzungen mit der menschlichen Sexualität keine Grenzen gesetzt zu sein. Oftmals richten wir unser Verhalten, unsere Handlungen und Entscheidungen danach, was unsere potentiellen Chancen auf die Befriedigung unserer sexuellen Bedürfnisse…

Theologie und Philosophie im Zeichen der Pluralität

von Michael Bongardt (Universität Siegen) Es mag sie einmal gegeben haben: Die Zeiten, in denen sich die meisten Gläubigen und ihre Theologen ihres Glaubens gewiss waren; in denen sich die meisten Philosophen der Vernunft sicher waren. Und es mag sie auch heute noch geben: Menschen, die sich ihres Glaubens gewiss…

Verantwortung und Künstliche Intelligenz

von Philipp Kellmeyer (Freiburg) Technologische Konvergenz: Digitalisierung, Big Data, Deep Learning Künstliche Intelligenz (KI) ist, zusammen mit Digitalisierung und Big Data, ein zentrales Schlagwort und Sinnbild für einen umfassenden technosozialen Wandel. Digitalisierung umfasst im Wesentlichen die Transformation der informationstechnologischen (IT) Infrastruktur—mit dem Ziel systematisch Daten digital erfassen, aufbereiten und verwerten…

Digitalisierung und philosophische Bildung

von Klaus Feldmann (Wuppertal) Mit dem Vorhaben der Digitalisierung wird gegenwärtig eine Neustrukturierung und -ausrichtung des Lehrens und Lernens in allen Bildungsinstitutionen gefordert. In Deutschland, welches in der Bildungspolitik föderal organisiert ist, wird für den sogenannten Digitalpakt zwischen den einzelnen Ländern und dem Bund das Grundgesetz geändert, so kann die…

Was genau machen eigentlich PhilosophiehistorikerInnen?

von Sebastian Bender (Berlin) „Und was machst du so?“ ist eine Frage, die sich Philosophinnen und Philosophen häufig gegenseitig stellen, sei es am Rande von Tagungen oder auf Partys mit hinreichend vielen PhilosophInnen. Gefragt wird dabei nach dem Spezialgebiet (der Area of Specialization, kurz: AOS) zu dem jemand forscht, also…

Sex?!

von Hilkje Charlotte Hänel (Berlin) Was ist Sex eigentlich? Intuitiv scheint uns das allen klar zu sein, schließlich sehen wir Sex im Fernsehen und auf Plakatwänden, reden über Sex, haben selber Sex. Wir wissen, mit welchen Personen wir Sex hatten und mit welchen nicht. Wir können mitzählen. Eine Liste mit…

Ist es rational religiöse Überzeugungen zu haben?

von Georg Gasser (Innsbruck) Lange Zeit war die Meinung vorherrschend, Religionen würden durch Aufklärung und Wissenschaft verschwinden. Diese Meinung hat sich allerdings nicht bestätigt. Großreligionen mögen zwar an Einfluss verlieren, aber religiös-spirituelle Einstellungen prägen weiterhin das Leben vieler Menschen. Zudem prognostiziert das bekannte Pew Research Center, das sich auf Religionsforschung…

Interview mit Nikola Kompa

Nikola Kompa ist Professorin am Institut für Philosophie der Universität Osnabrück prae|faktisch: Wieso wollten Sie Philosophin werden? Nikola Kompa: Ich glaube nicht, dass ich Philosophin werden wollte. Ich komme aus einem naturwissenschaftlich geprägten Elternhaus. Zunächst hatte ich mich im Studium denn auch mehr auf die Mathematik (eines meiner zwei Nebenfächer) konzentriert,…

Am fremden Leib erfahren

von Verena Triesethau (Leipzig) Alle Welt redet über Sex, alle Welt hat Sex, Sex scheint etwas ganz Natürliches. Jedenfalls suggeriert der mediale Diskurs solche Annahmen, die sich auch in einer der am häufigsten gebrauchten superlativen Umschreibungen zeigt: „Sex ist die natürlichste Sache der Welt“. Diese Berufung auf die Natürlichkeit gräbt…

Der programmierte Mensch: Smarte Anwendungen, Gamification und die Beeinträchtigung menschlicher Autonomie. Ein Appell

von Moritz Dittmeyer (München) Über Potenziale und Risiken der voranschreitenden Digitalisierung unserer Gesellschaft wird viel diskutiert: Es geht um Transhumanismus, um Cyborgs, um die Überwindung oder gar um die Unterwerfung des Menschen und um Künstliche Intelligenzen, die über sich hinauswachsen und sich verselbstständigen. Vollkommen zurecht fragen wir uns, welchen Einfluss…