28 Mrz

Unruhig bleiben, damit sich alles ändert. Mit Haraway und Adorno für ein anderes Naturverhältnis

Von Miriam Schröder (Frankfurt)


Dass sich angesichts der Klimakatastrophe einiges, wenn nicht sogar alles, ändern muss, ist fast schon ein Gemeinplatz geworden. Aber während die einen auf technische Lösungen setzen und von einem grünen Kapitalismus träumen, sind die anderen längst einem verbitterten Zynismus verfallen. Beide Perspektiven sind für kritische Theorien, die auf ein herrschaftsfreies Zusammenleben aller zielen, lähmend. Mit Donna J. Haraway und Theodor W. Adorno lässt sich anders über diese Problemstellung nachdenken.

In ihrem 2018 auf Deutsch erschienen Buch „Unruhig bleiben“[1] fordert die Wissenschaftstheoretikerin dazu auf, sich angesichts der Schrecken des Anthropozäns weder der Hoffnung noch der Verzweiflung hinzugeben: Die Hoffnung auf Erlösung durch technische Innovationen, der Glaube an den Fortschritt, der uns doch noch retten wird, ist naiv. Aber angesichts des katastrophalen Ausmaßes der Klimakatastrophe eine „Game over“-Haltung einzunehmen ist zynisch.

Sich in der Annahme, dass die Welt sowieso untergehen wird, von den konkreten Zusammenhängen zu distanzieren, kann keine Lösung sein. Es sollte darum gehen, Verbindungen zu suchen, sich zu involvieren, dort zu verharren, wo es weh tut: Kurz: Es geht darum, „unruhig zu bleiben“, so die dem Buchtitel entsprechende Losung. Anstatt die nächste große Erzählung über den Menschen und sein Verhältnis zur Natur zu schreiben, das in der Erlösung oder der Katastrophe endet, bedürfe es anderer Geschichten über die komplexen Verflechtungen und Praktiken, in denen Menschen und Nichtmenschen gemeinsam werden und sich verändern.

Solche Geschichten schreibt Haraway. Sie erzählt von Primaten, von Cyborgs, von Hunden, Tauben, Korallen und Bakterien. In ihren Erzählungen versucht sie, unterschiedliche Wissensbestände, Zeitebenen und Perspektiven in eine Konstellation zu bringen. Die Erzählungen sollen die Welt angemessen beschreiben, aber auch Position beziehen, bestimmte Lebensweisen und Beziehungsformen fördern und neue Interventionsfelder aufzeigen.

Eine systematische Analyse des Verhältnisses von Gesellschaft und Natur, die in einer marxistischen Tradition stehen, rückt so in den Hintergrund. Haraway zufolge bleiben solche Theorien in einem Humanismus gefangen, der der Imagination anderer Naturverhältnisse im Weg steht. Der Mensch bleibe in diesen Erzählungen die einzig handelnde und denkende Instanz, die sich die Natur aneignet, sie transformiert und sich zunutze macht.

In Theodor W. Adorno könnte Haraway allerdings einen interessanten Gesprächspartner finden. Für ihn ist die Gegenüberstellung von Mensch ein Produkt der Geschichte der Naturbeherrschung. Der Mensch mag sich oder seinen Geist zwar als von der Natur unabhängig begreifen – diese Unabhängigkeit ist jedoch nur ein Schein. Wie für Haraway sind auch für ihn weder das Denken noch der Geist jenseits ihrer Materialität zu denken. Auch er zielt darauf, dieser Materialität zur Geltung zu verhelfen.

Adorno vertritt allerdings, stärker als Haraway, die These, dass die Logik der Naturbeherrschung auch unsere Denkweisen bestimmt. Das begriffliche Denken, das einen Gegenstand unter einen Begriff fasst, ist für ihn ein herrschaftlicher Zugriff auf dasjenige, was der Begriff selbst nicht ist – das Nichtbegriffliche, die Sache oder die Materie. Das Denken verfährt nach dem Identitätsprinzip und kann nicht dulden, was sich ihm und dem Begriff nicht gleich machen lässt. Genauso wie im kapitalistischen Tausch von den qualitativen Eigenschaften des Arbeitsprodukts sowie der Arbeitskraft abstrahiert wird, indem alles zur Ware wird, so abstrahiert auch der Begriff von allem, was nicht in ihm aufgeht.

Aber der Herrschaftszusammenhang ist nicht vollständig geschlossen, die Natur lässt sich nicht gänzlich beherrschen. Das aber, was sich der Herrschaft entzieht, ist laut Adorno nicht einfach Natur oder Materie. Das Problem ist gerade, dass die Naturbeherrschung so dominant ist, dass sich das, was sich der instrumentellen Logik der Identifikation und Abstraktion versperrt, nur negativ zeigen kann: nämlich als Widerspruch gegen das Gebot der Identität und der Herrschaft.

Das heißt in Bezug auf die Problematik des Anthropozäns, dass es für Adorno keine Beziehungsformen oder Naturverhältnisse gibt, die wirklich aus der Naturbeherrschung ausbrechen. Selbst das, was der Herrschaft entgegenzuarbeiten scheint, ist so stark von ihr überformt, dass es immer noch innerhalb der Herrschaftsverhältnisse bleibt.

Dass der Herrschaftszusammenhang nicht vollständig geschlossen ist, ermöglicht aber, Kritik zu üben. Das Leiden unter den gesellschaftlichen Bedingungen zeigt an, dass die Gesellschaft grundlegend falsch eingerichtet ist. An den Widersprüchen, die die Herrschaftsverhältnisse produzieren, kann eine Kritik ansetzen, die das Falsche als falsch denunzieren und zurückweisen kann. In dieser Kritik deutet sich zugleich auch an, wie es richtig sein könnte: Richtig wäre ein Zustand, in dem das Nichtidentische mehr als nur das sein könnte, was nicht mit der Herrschaft identisch ist. Ein herrschaftsfreies „Miteinander des Verschiedenen“, [2] eine Versöhnung mit der Natur, positive Differenz, die mehr als die Abweichung einer gesetzten Identität wäre.

Auf einen solchen Zustand hinzuarbeiten, ist nur durch die erbarmungslose Kritik des Gegebenen möglich. Das bedeutet keineswegs, zynisch oder indifferent angesichts der konkreten Problemstellungen zu werden. Es geht vielmehr darum, daran festzuhalten, dass die Welt eine ganz andere werden muss und dass eine andere Welt möglich ist. Aber – und vielleicht ist das Adornos Variante des „Unruhigbleibens“ – es muss klar sein, dass sich die Gesellschaft grundlegend verändern muss. Zwar mögen kleine Reformen in Einzelfällen eine Verbesserung bringen, aber die Kritik muss auf die Gesellschaft als Ganze zielen.

Anders als Adorno ist Haraway der Ansicht, dass es neue, spekulative Geschichten braucht, um manche Beziehungsformen zu stärken, andere zu verwerfen und neue zu imaginieren – und dass solche Geschichten erzählt werden können. Die Beziehungen zwischen Menschen sowie die zwischen anderen Akteur*innen folgen ihrer Ansicht nach keiner universalen Herrschaftslogik, sie sind vielfältig und heterogen. Um herauszufinden, welche Beziehungsformen wir fördern und welche verhindern möchten, helfe es nicht viel, die großen Begriffe Natur und Gesellschaft, Mensch und Universalgeschichte zu bemühen, die von den konkreten Zusammenhängen notwendigerweise abstrahieren.

Diese Vorbehalte gegenüber der marxistischen Theorie treffen auf Adorno nur bedingt zu. Er ist nicht zuletzt deswegen ein interessanter Gesprächspartner für Haraway, weil er immer wieder betont, dass es ihm um das Besondere oder das Kleinste gehe, um den „mikrologischen Blick“. Seine ganze Arbeit ist der Versuch, dasjenige, das nicht in diesen großen Begriffen und Erzählungen aufgeht, zu artikulieren.

Aber Adorno gerät mit diesem Anspruch doch immer wieder an seine Grenzen. Seine These, dass eine universale Herrschaftslogik unser Zusammenleben und unser Denken dermaßen stark prägt, steht dem Blick auf das Einzelne im Weg. Adorno befindet sich in einer Zwickmühle: Er will das Nichtidentische, also das nicht unter die Herrschaft Subsumierbare, artikulieren und zur Geltung bringen, kann das aber nur tun, indem er die Geschichte der Herrschaft des Tausch- und Identitätsprinzips erzählt. Diese Geschichte kann nur als Triumphzug der Identität geschrieben werden, die jede positive Differenz verschlingt und damit eine tatsächliche Artikulation des Nichtidentischen verunmöglicht.

Adornos Position ist konsequent. Nur, wenn sich die gesellschaftlichen Bedingungen verändern, können wir überhaupt darüber nachdenken, wie eine andere Einrichtung der Gesellschaft und damit auch ein anderes Naturverhältnis aussehen könnten. Gerade die Annahme aber, dass es ein universales Herrschaftsprinzip gibt, das uns und unsere Beziehungsformen (über-)formt, halte ich für spekulativ. Mit Haraway (und vielen anderen) teile ich die Annahme, dass nicht alle Bereiche des Lebens gleichermaßen von Herrschaft durchzogen sind. Und dass die Herrschaftsverhältnisse und Machtbeziehungen nicht alle der einen Logik der Naturbeherrschung folgen, also der instrumentellen Vernunft, die abstrahiert und identifiziert, indem sie Abweichendes unterdrückt und abschneidet.

Ein solches Denken verliert leicht seine Offenheit dafür, überrascht und irritiert zu werden und sich durch die konkrete, materielle Begegnung mit Anderem zu verändern. Allerdings  – und hier ist Adorno Haraway einiges voraus – muss man auch daran festzuhalten, dass das Ziel dieser Kämpfe das herrschaftsfreie Miteinander aller sein muss. Und dass dieses Ziel nicht dadurch erreicht werden kann, dass wir andere Geschichten über die Natur erzählen. Eine schonungslose Kritik an der falschen Einrichtung der Gesellschaft ist notwendig, wenn diese anderen Geschichten mehr als Geschichten sein wollen.

Unruhig zu bleiben, also eine Perspektive einzunehmen, die weder vor dem Fortdauern der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse resigniert noch darauf hofft, dass doch noch alles von alleine gut würde, bedeutet also, eine radikale Kritik am Bestehenden zu formulieren, die auch tatsächlich Wege aus dem Bestehenden hinausweist. Eine differenzierte Analyse der Reproduktion der Herrschaftsverhältnisse ist dabei von genauso großer Wichtigkeit wie die kollektive Anstrengung, ausgehend von dem Bestehenden die kollektive Kraft des gemeinsamen Denkens und Werdens zu affirmieren, sich einzumischen und gemeinsam zu kämpfen – auch wenn man nie sicher sein kann, dass der Weg der richtige ist. Weder verzweifelt noch naiv optimistisch zu sein, bedeutet Kritik an dem, was ist, und Spekulation darüber, wie es anders werden könnte, gemeinsam zu betreiben.


Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Aufsatz in der Zeitschrift für Praktische Philosophie.


Miriam Schröder ist Doktorandin am Institut für Sozialforschung und am Institut für Philosophie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Arbeitsschwerpunkte: Kritische Theorie, politische Epistemologien, feministische Epistemologien und Wissenschaftskritik und Theorien der Subjektivierung.


[1] Donna J. Haraway, Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän, Frankfurt a. M./New York 2018.

[2] Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Suhrkamp 2003 [1966], 151.

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