07 Apr

Klimakrise, Klimaskepsis – und Philosophie?

von Jens Gilessen (Marburg)


In jüngster Zeit ist nicht nur eine Verschärfung der Klimakrise zu beobachten, sondern auch neuer politischer Widerstand gegen einen konsequenten Klimaschutz. Ein Grund dafür: Gleichsam im Schatten der von Lobbygruppen betriebenen Klima-Leugnung überdauern in der Bevölkerung bestimmte, nicht einmal per se irrationale, Formen von Klima-Skepsis. In diesem Beitrag werde ich argumentieren, dass hier sowohl Klimaethik als auch Erkenntnistheorie gefordert sind.

Zunächst: Verschärft sich die Klimakrise? In den letzten 30 Jahren hat eine wachsende Zahl von Regierungen zwar Maßnahmen ergriffen, die den Ausstoß von Treibhausgasen eindämmen sollen.[1] 2020 muss man jedoch festellen, dass nicht nur Deutschland sein selbstgestecktes Reduktionsziel vorerst verfehlt, sondern auch global der Ausstoß von Treibhausgasen immer noch weiter anwächst. Zugleich tritt die Bekämpfung der Klimakrise in eine neue Phase, die von offenem gesellschaftlichen Dissens in Klimafragen gekennzeichnet ist. In weiten Teilen der Welt fordern erstmals beträchtliche Teile der Öffentlichkeit – namentlich die Aktivist*innen von Fridays for Future – wirksamere Maßnahmen zum Klimaschutz. Zugleich scheint sich in vielen Gesellschaften eine neue Art von Widerstand zu formieren: Amtsträger, Parteien und Bewegungen, die den Klimawandel oder seine Gefährlichkeit leugnen und versprechen, seine Bekämpfung weitestgehend auszusetzen.

Kann man allen Ernstes hoffen, auf diese besorgniserregenden Entwicklungen mit den Mitteln der Philosophie Einfluss zu nehmen? Aus der Klima-Forschung lässt sich lernen, dass es nicht das eine Mittel gibt, die Klimakrise zu entschärfen. Nötig sind viele, mitunter auch kleine, aber effiziente Anstrengungen in den unterschiedlichsten Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft. Dass die Philosophie wohl nur einen überschaubaren Beitrag leisten kann, ist kein Grund, auf ihn zu verzichten. Tatsächlich haben akademische Philosoph*innen in den letzten Jahrzehnten erhebliche Denkanstrengungen in die Klima-Ethik investiert. Die hier entstandene Expertise kann Interessierten dabei helfen, gründlicher über die Handlungsverpflichtungen nachzudenken, die den Menschen aus der Bedrohung des Klimawandels erwachsen.

Die Klima-Ethik hat dabei immer wieder herausgearbeitet, dass auch die besten Klimamodelle und ökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnungen es niemandem ersparen, ein ethischesUrteil darüber zu fällen, was ihr, ihm und uns durch die Lage abverlangt wird. Ein ungebremster Klimawandel schädigt schon jetzt Menschen an Einkommen, Vermögen, Gesundheit, Leib und Leben – vor allem die Bewohner*innen weniger entwickelter Länder in Afrika, Asien und Ozeanien. Zur Entstehung des Klimawandels beigetragen haben diese Menschen – im Unterschied zu den Bewohner*innen wohlhabender, industrialisierter Länder – praktisch nichts. In der Klimaethik ist man sich deshalb weitestgehend einig, dass der Klimawandel eine massive globale Ungerechtigkeit bedeutet. Überdies werden nachfolgende Generationen rund um die Welt an seinen Folgen noch schwer zu tragen haben. Welche Verpflichtungen haben wir hier und jetzt Existierende in Bezug auf all diese Menschen – die fernen gegenwärtigen und die zukünftigen? Wer hat welche dieser Verpflichtungen, und wie gewichtig sind sie – etwa wenn sie mit Verpflichtungen gegenüber den eigenen Kindern oder Mitbürger*innen kollidieren?

Solche Fragen sind mit den Methoden der Wissenschaften nicht bearbeitbar, und doch unausweichlich. Damit rufen sie Philosoph*innen auf den Plan. Ob die gesellschaftlichen Akteur*innen philosophische Antwortversuche zur Kenntnis nehmen wollen, müssen sie letztlich selbst entscheiden. Wünschenswert wäre es. Denn aufgrund ihrer strikten Wahrheitsorientierung können philosophische Beiträge in festgefahrene Debatten glaubhaft neue Perspektiven und Gründe einspeisen, Verständnis für die Gründe der jeweiligen Gegenposition wecken und dadurch letztlich auch die gesellschaftliche Konsensfindung erleichtern.

Gefordert ist dabei nicht nur die Klima-Ethik im engeren Sinne.[2] Auch Politische Philosophie und – vielleicht überraschenderweise – die Erkenntnistheorie sind gefordert. Im Rest dieses Beitrags werde ich vor allem fragen, was die philosophische Erkenntnistheorie hier leisten kann.[3] Hoch relevant ist sie, weil ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung anhaltend skeptischeEinstellungen zum Klimawandel hegt.

Als „Klimaskeptiker“ werden oft Akteure tituliert, die unter falscher Vorspiegelung einschlägiger Expertenschaft öffentlich den Anschein zu erwecken versuchen, in den Klimawissenschaften bestünden noch gravierende Zweifel am, oder nennenswerte Uneinigkeit über, den Klimawandel. Diese mit den Mitteln der Täuschung arbeitende ‚Klima-Skepsis‘ verdient ihren Namen nicht; sie ist treffender als Klima-Leugnung zu bezeichnen.[4]

Gleichsam in ihrem Schatten scheinen jedoch auch Formen echter Skepsis zu überdauern. Zwar gaben in einer europaweiten Studie[5] im Jahr 2016 über 90 % der Befragten an, das Klima verändere sich gerade ‚definitiv‘ oder ‚wahrscheinlich‘; ungefähr ebensoviele glaubten, der Mensch trage zum Klimawandel bei. Sieht man indessen genauer hin, offenbaren die Ergebnisse Zweifel und Relativierungen.

In Deutschland etwa hielten 38% der Befragten die Existenz eines Klimawandels für höchstens ‚wahrscheinlich‘; 46% schrieben ‚natürlichen Prozessen‘ einen mindestens ebenso großen Anteil an der Verursachung des Klimawandels zu wie dem Menschen. Sorgen wegen des Klimawandels machten sich zwar gut 97%; doch ‚sehr‘ oder ‚extrem‘ besorgt zeigten sich nur 43%. Auch scheinen viele zu bezweifeln, dass sie selbst in ernstzunehmender Weise verpflichtet sind, etwas zur Bekämpfung des Klimawandels beizutragen. Zwar schrieben sich die deutschen Befragten fast alle persönliche Verantwortung dafür zu, ‚den Klimawandel zu reduzieren‘ (97,4%); zugleich war das Ausmaß der selbstzugeschriebenen Verantwortung aber eher moderat (im Durchschnitt 6,7 auf einer Skala von 0 bis 10). Überdies wurde das Problem des Klimawandels als kaum dringlicher empfunden als konkurrierende Probleme. So zeigten sich zwar gut 43% der deutschen Befragten über den Klimawandel ‚sehr‘ oder ‚extrem‘ besorgt – aber auch gut 31% über zu hohe Energiekosten!

Man darf daher wohl zusammenfassen: Auch jetzt noch zweifeln viele, 1.) ob ein gefährlicher, vom Menschen verursachter Klimawandel überhaupt stattfindet, und 2.) ob sie selbst in ernstzunehmender Weise verpflichtet sind, etwas zur Bekämpfung des Klimawandels beizutragen. Man kann bei 1.) von ‚Fakten-Skepsis‘ und bei 2.) von ‚ethischer Skepsis‘ sprechen.

Skepsis ist eine Haltung, die die Philosophie seit der Antike beschäftigt. Die Philosophie beschränkt sich dabei nicht auf Versuche, Skepsis zu eliminieren; vielmehr will die philosophische Erkenntnistheorie herausfinden, wer eigentlich was wissen kann – und auf welcher Grundlage. Wenigstens im Fall des Klimawandels lohnt es sich zu fragen, ob Skepsis per se irrational ist – oder ob sie vielleicht Ursachen hat, für die die Skeptiker persönlich gar nicht verantwortlich gemacht werden können.

Es liegt nahe zu vermuten, dass eine Ursache der Fakten-Skepsis in der Eigenart des Klimawandels selbst liegt. Allen Versuchen zum Trotz, ihn in Bildern festzuhalten, bleibt der Klimawandel ein Vorgang von solcher Ausbreitung in Zeit und Raum, dass keine einzelne Person ihn beobachten, kein Einzelner sich seiner anhand der eigenen Umweltwahrnehmungen wirklich vergewissern kann. Es bedarf vielmehr der Erkenntnismethoden der Naturwissenschaften und der arbeitsteiligen, spezialistischen Kooperation vieler wissenschaftlicher Expert*innen, um sein Stattfinden mit der nötigen Verlässlichkeit festzustellen. Dasselbe gilt in noch viel größerem Maße für seine Ursachen und Folgen.

Fakten-Skepsis bezüglich des Klimawandels kann man deshalb nur überwinden, indem man Vertrauen fasst zur Wissenschaft. Man hat das hier gemeinte Vertrauen, wenn man überzeugt ist, dass die Wissenschaft 1.) kompetent ist, die Wahrheit über den Klimawandel mit genügender Verlässlichkeit herauszufinden, und 2.) dass die Wissenschaftler*innen ihre Erkenntnisse auch aufrichtig mitteilen – also im Fall des Klimawandels z.B. weder taktisch über- noch untertreibend.

Erkenntnistheoretisch betrachtet, markiert die Klimakrisevor allem auch ein mangelndes Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft. Dabei lässt sich darüber streiten, ob dieses Vertrauen im Schwinden begriffen ist. Möglicherweise verhält es sich eher so, dass die Klimakrise der Öffentlichkeit einfach mehr Vertrauen zur Wissenschaft abverlangt als je zuvor. Denn für eine entschiedene Klimapolitik mit der nötigen Beharrlichkeit bedarf es in demokratischen Staaten nun einmal stabiler politischer Mehrheiten unter den Wähler*innen. Es gerät dann zum Problem, dass das Vertrauen der Wähler*innen zur Wissenschaft tatsächlich schwach ausgeprägt und überdies selektiv ist.

Ein Beleg für diese schwache Ausprägung:Der Aussage, dass ‚sogar Wissenschaftler nicht wirklich wissen, worüber sie reden, wenn es um Umweltprobleme geht‘, stimmten im Jahr 2016 weltweit 44% der Befragten zu; in Deutschland sogar 56%.[6] Nicht nur bezüglich des Klimas, auch auf vielen anderen Feldern gedeiht die Wissenschaftsskepsis. Anscheinend verstehen viele Menschen nicht, warum auf wissenschaftlichen Belegen basierende Aussagen verlässlicher sind als die sogenannte anekdotische Evidenz (‚ich fühle mich jedes Mal besser, nachdem ich Globuli genommen habe‘). Diese Menschen haben nur die Wahl, der Wissenschaft entweder blind zu vertrauen – oder ihr zu misstrauen. Blindes Vertrauen in Wissens-Autoritäten allerdings steht seit der Aufklärung im Ruf der Irrationalität: „Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“, schrieb der Philosoph Immanel Kant 1784, und spottete: „Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, […] einen Arzt, der für mich die Diät beurtheilt, u.s.w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen.“[7]

Selektiv ist das Vertrauen in die Wissenschaft, weil den einzelnen Wissenschaften in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich keineswegs im selben Maße Sachkompetenz zugetraut wird. Das höchste Vertrauen dürften Fächer wie Mathematik, Informatik, Physik und Ingenieurwissenschaften genießen; vermutlich, weil technologische Großtaten von Ingenieur*innen die Richtigkeit der zugrundeliegenden Theorien immer aufs Neue und für jeden ersichtlich beweisen.[8] Am anderen Ende der Skala dürften sich Disziplinen wie die Ernährungswissenschaften finden – und womöglich auch die Philosophie? Für die Klimawissenschaften schließlich kann man einen Vertrauensgrad irgendwo zwischen den Extremen vermuten – weil sich ihrePrognosen anhand des bloßen Augenscheins durch den Einzelnen eben nicht überprüfen lassen.

Im Ergebnis zeichnet sich möglicherweise eine tragische Situation ab. Vielen Menschen (auch studierten) mangelt es nicht nur an der Vorbildung, sondern in Anbetracht ihrer beruflichen und privaten Aufgaben auch an der Zeit, sich ein fundiertes Urteil darüber zu erarbeiten, welche Wissenschaften tatsächlich in welchem Ausmaß vertrauenswürdig sind, und welches relative Gewicht ethischen Gründen für den Klimaschutz beizumessen wäre. Im Ergebnis verharren viele in Fakten- und/oder ethischer Skepsis.

Was aber können Klimaethik und soziale Erkenntnistheorie hier tun? Sie können die beiden Formen von Skepsis zum Beispiel zum Untersuchungsgegenstand machen. Und sie können dadurch indirekt auch daran mitarbeiten, sie zu überwinden. Zunächst, indem sie in Forschung und Lehre immer klarer zwei Arten von Gegen-Gründen herausarbeiten: die guten Gründe, den Klimawissenschaften zu vertrauen; und die guten Gründe, aus denen der Klimaschutz um der Betroffenen willen auch dort noch betrieben werden muss, wo dies den Bürger*innen der wohlhabendsten Länder erhebliche Wohlstandsopfer abverlangt. Sodann muss die Philosophie geeignete Multiplikator*innen mit diesen Gründen überzeugen – in der Politik, den Medien und in der schulischen Bildung.

Diese Arbeit hat längst begonnen. Vielleicht muss sie noch verstärkt werden. Bei all dem darf die Philosophie nur eines nie vernachlässigen: das strikt wahrheitsorientierte, immer auch nach Einwänden forschende Nachdenken. Davon hängt die Nützlichkeit ihrer Expertise letztlich ab.


Jens Gillessen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Philipps-Universität Marburg. Seine Forschungs- und Interessenschwerpunkte sind u.a. Klimaethik, Normative Ethik (besonders Kantischer Kontraktualismus), Rationalität und die Philosophie Immanuel Kants.


[1]           Eine allgemeinverständliche Zusammenfassung des Wissensstands zum Klimawandel durch einschlägige Experten findet sich in: Schellnhuber, Hans Joachim / Rahmstorf, Stefan. 2018. Der Klimawandel. Diagnose, Prognose, Therapie. 8., aktualisierte Aufl. München: C.H. Beck.

[2]           Zur Einführung in die Klimaethik sind lesenswert z.B.: Birnbacher, Dieter. 2016. Klimaethik. Nach uns die Sintflut? Stuttgart: Reclam. Broome, John. 2012. Climate Matters. New York; London: W. W. Norton. Gesang, Bernward. 2011. Klimaethik. Berlin: Suhrkamp. Singer, Peter. 2013. Praktische Ethik. 3. Aufl. Stuttgart: Reclam, Kap. 9: Klimawandel.

[3]           Vgl. auch Gillessen, Jens. 2018. “Aufklärung durch die Klimawissenschaften. Worüber und wozu?”, in: Angewandte Philosophie. Eine internationale Zeitschrift / Applied Philosophy. An International Journal 1|2018, Themenschwerpunkt „Wissenschaft und Aufklärung“, hgg. v. R. Enskat u. O. Scholz, 127–48.

[4]           Vgl. Hansson, Sven Ove. 2017. “Science Denial as a Form of Pseudoscience.” Studies in History and Philosophy of Science Part A 63: 39–47.

[5]           Datensatz: European Social Survey Data ESS8-2016, ed. 2.1; alle Angaben beruhen auf eigenen Auswertungen unter Benutzung von http://nesstar.ess.nsd.uib.no/webview/, zuletzt abger. am 03.01.2020. Vgl. auch Poortinga, Wouter et al. 2018. “European Attitudes to Climate Change and Energy: Topline Results from Round 8 of the European Social Survey.” London: The European Social Survey ERIC. URL: https://www.europeansocialsurvey.org/docs/findings/ESS8_toplines_issue_9_climatechange.pdf, zuletzt abger. am 14.01.2020, S. 6, S. 15.

[6]           Vgl. Ipsos MORI 2017, “Global Trends. Fragmentation, Cohesion and Uncertainty”. URL: http://assets.ipsos-mori.com/gts/ipsos-gts-report.pdf, S. 29.

[7]           Vgl. Kant, Immanuel. 1784. „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“, in: Kant‘s gesammelte Schriften, hgg. v.d. Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, 29 Bde. Berlin: Reimer  1900ff., Bd. 8, S. 35.

[8]           Vgl. dazu Goldman, Alvin I. 2001. “Experts: Which Ones Should You Trust?” Philosophy and Phenomenological Research 63 (1): 85–110.

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