Sustainable Development Goals und Postwachstum: Kritik der politischen Rhetorik

Von Christoph Henning (Erfurt) Um der ökologischen Krise zu begegnen, ohne politisch unbeliebte Entscheidungen zu treffen, hat sich weltweit eine Zauber-Rhetorik verbreitet: Wir können alles ändern und zugleichweitermachen wie bisher. Diese global veröffentlichte Meinung manifestiert sich nicht nur in Parteiprogrammen, sondern auch in den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der UNO von…

Romantische Inszenierungen. Oder: Von Projekten und Beleuchtungszauber

Von Christian Jany (ETH Zürich) Ist von „Romantik“ die Rede, stellt sich leicht Verwirrung ein. Die Bedeutung des Wortes ist unklar, der Gebrauch ambivalent, schillernd, schwer fassbar. Das zugrunde liegende Adjektiv „romantisch“ kann laut Lexikon soviel wie schön, empfindsam, stimmungsvoll, tiefsinnig, geheimnisvoll, malerisch, aber auch schräg, rührselig, abenteuerlich, weltfremd, unrealistisch,…

2022: 100 Jahre Kuhn, 60 Jahre Structure

Von Paul Hoyningen-Huene (Zürich) Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (SSR) Die bedeutendste Einzelpublikation in der Wissenschaftsphilosophie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Thomas Kuhns Buch von 1962 Die Struktur der wissenschaftlichen Revolutionen (SSR). Das Buch hat aus dem früher etwas exotischen Wort «Paradigma» ein Wort der Alltagssprache gemacht. Es…

Grenzen des Wachstums oder Wachstum der Grenzen?

Von Ingo Pies (Halle-Wittenberg) Das 1972 als Bericht an den Club of Rome publizierte Buch über die Grenzen des Wachstums hat in den letzten fünf Jahrzehnten eine ganz außerordentliche Wirkung entfaltet: Es hat der öffentlichen Diskussion über die nachhaltige Entwicklung der Weltgesellschaft ein intuitiv eingängiges Paradigma vorgegeben, einen Denkrahmen, der…

Die Philosophie-Konzeption des späten Wittgenstein

Von Nicole Rathgeb (Bern) Dem späten Wittgenstein zufolge ist die Philosophie „ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“ (PU § 109). Philosophische Probleme basieren auf sprachlich-begrifflichen Verwirrungen und werden gelöst oder aufgelöst, indem diese Verwirrungen beseitigt werden: indem wir uns einen Überblick darüber verschaffen, wie…

Romantischer Republikanismus

Von Philipp Hölzing (Berlin) »Gut für die Poesie, schlecht für die Politik.«[1] So lautet ein geläufiges Urteil über die Romantik, die als Entstehungsherd des modernen Irrationalismus gilt und vom Nationalsozialismus bis zu den heutigen Querdenkern für Allerlei verantwortlich sein soll. Dagegen wird hier die These verfochten, dass wir am Beispiel…

Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. Ein Offener Brief mit guten, aber nicht universell verpflichtenden moralischen Gründen

von Stephan Wagner (Münster) In den vergangenen Tagen sorgte ein Offener Brief für einigen medialen Aufruhr, in dem eine Gruppe erstunterzeichnender Prominenter, unter ihnen einige prominente Jurist*innen und Philosoph*innen, den Bundeskanzler zu Besonnenheit in der Ukrainekrise mahnt und ihn ausdrücklich dazu auffordert, „weder direkt noch indirekt, weitere schwere Waffen an…

Philosophie und Computerspiele

Von Sebastian Ostritsch (Stuttgart) Computerspiele haben sich von einem nerdigen Nischenhobby zu einem Massenphänomen der Populärkultur entwickelt. Aber auch das Nerdsein gehört inzwischen zum Mainstream und es wäre eine interessante soziologische Frage, ob der Nerd die Games oder die Games den Nerd populär gemacht haben. Der Nerdigkeit des Mediums entsprechend…

Der Krieg in der Ukraine und die Europäische Sicherheitspolitik – Eine Zeitenwende? Ein Diskussionsvorschlag in drei Fragen

Von Pascal Delhom (Flensburg) Der russische Einmarsch in die Ukraine wird vielfach von politischen Akteur*innen und im öffentlichen Diskurs in Europa als „Zeitenwende“ beschrieben. Es sei Zeit, alte Denkmuster zu überprüfen und sich der Realität einer Bedrohung zu stellen, die von vielen nicht ernst genug genommen worden ist. Dies ist…

Kuhn über Herrschaft und Sturz von Paradigmen

Von Cord Friebe (Siegen) Wissenschaft ist kein Prozess stetigen Forstschritts, bei dem man sich nach und nach der Wahrheit annähert. Vielmehr ist Wissenschaft die Dynamik von Revolutionen, dem Aufstieg und Niedergang wohletabliert erscheinender Paradigmen – wie etwa der Newtonschen Physik. Wissenschaft ist daher wesentlich Streit, Kritik am Etablierten, die Bereitschaft,…

Ist Trumpismus ohne Trump möglich?

Von Christian Niemeyer (Berlin) Schwierige Frage: Wenn ich sie bejahe, beleidige ich Trump, wenn ich sie verneine, Putin. Andererseits: Wenn man dem US-Journalisten Craig Unger („Trump in Putins Hand. Die wahre Geschichte von Donald Trump und der russischen Mafia“; Econ: Berlin 2018) folgt, steckt der eine (Trump) ja ohnehin im…

Generationengerechtigkeit braucht individuelle Freiheit

Von Charlotte Unruh (München) Mit Generationengerechtigkeit lassen sich im Moment viele politische Ziele begründen. Emilia Fester, die jüngste Abgeordnete im Bundestag, zeigte sich enttäuscht nach der Ablehnung der Impfpflicht im Bundestag. In der Debatte zur Impfpflicht hatte sie vor einigen Wochen zum Impfen für die Freiheit junger Generationen aufgerufen, sinngemäß:…

Ein bisschen Frieden? – Eine uneigentliche Philosophie des Schlagers

von Florian Arnold (HfG Offenbach) Als Nicole beim Eurovision Song Contest 1982 einer der erfolgreichsten deutschen Schlager performte, wusste sie nicht, was sie damit anrichten sollte. Nicht nur gewann die erst 17-jährige den ersten Preis und erlebte einen kometenhaften Aufstieg in die obersten Klangsphären des Schlagerkosmos, sondern sie verlieh der…

Legitime Sicherheitsinteressen Russlands? Eine Kritik an Klaus Dörre.

Von Konrad Ott (Kiel) I Klaus Dörre hat 2021 ein Buch zur „Utopie des Sozialismus“ publiziert. Dörres Konzeption von Sozialismus steht im Folgenden nicht zur Debatte. Zur Debatte stellen möchte ich aus aktuellem Anlass eine Passage, die sich im Kapitel „Übergänge: Nachhaltiger Sozialismus jetzt!“ auf S. 242 des Buches findet.…

Selbstbestimmung, Abhängigkeit und Solidarität in der Pandemie

Von Philip Schwarz (Göttingen) Wenn es um die Aufhebung der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie geht, ist viel von „Freiheit“ die Rede. Wir müssen uns aber fragen, unter welchen Bedingungen wir überhaupt frei und selbstbestimmt sind. Die Berücksichtigung unserer verkörperlichten Bedingtheit zeigt uns, dass Freiheit Solidarität voraussetzt.

Erwartungshaltungen. Feministische Perspektiven auf Supererogation

Von Katharina Naumann (Magdeburg), Marie-Luise Raters (Potsdam) und Karoline Reinhardt (Tübingen) Wozu bin ich moralisch verpflichtet und was kann nun wirklich keiner von mir verlangen? Ist es besonders lobenswert, wenn ich mehr leiste? Und bin ich immer zur Dankbarkeit verpflichtet, wenn mir jemand etwas Gutes tut, oder hat das seine…

Reduktion als Reiz: Zur Einfachheit in Videospielen

von Thomas Arnold (Heidelberg) Dieser Blogbeitrag kann auch als Podcast gehört und heruntergeladen werden: Videospiele sind einfältig – und unter anderem deshalb so reizvoll; sie reduzieren Erfahrung und bieten gerade deshalb mehr Erlebnis. Dass viele Videospiele uns mit Mechanismen von Herausforderung, Belohnung und Flow bei der Stange halten (ähnlich wie…

Mensch-Natur-Verhältnis revisited. Eine Replik auf Giulia Valpione

Von Kira Meyer (Kiel) Giulia Valpione plädiert für die Wiederaufnahme romantischer Motive, um die Mensch-Natur-Beziehung neu zu konzeptualisieren. In ihrer Forderung nach einer notwendigen Überarbeitung dieses Verhältnisses möchte ich Valpione beipflichten, jedoch auf einen weiteren wichtigen Diskussionsstrang verweisen, der mir dafür unerlässlich erscheint: Die Berücksichtigung der Leiblichkeit des Menschen, wie…

Wir alle sind Teilnehmende des medialen Krieges

von Johannes Müller-Salo (Hannover) Dieser Blogbeitrag kann auch als Podcast gehört und heruntergeladen werden: Der Angriff Wladimir Putins auf die Ukraine zerstörte über Nacht Gewissheiten, die vermutlich die meisten Menschen in Europa und in der westlichen Welt für unerschütterlich gehalten hatten. Für die Philosophie des Krieges und der Gewalt stellen…

Wahlrecht nur für Wissende? – Epistokratie, Ungleichheit und der Begriff politischen Wissens

von Jonas Carstens (Düsseldorf) „Ich könnte ein ganzes Buch darüber schreiben, wie wenig die Wähler wissen.“ – Jason Brennan (2017, 54) In diesem Satz drückt der Autor des Buches Gegen Demokratie Jason Brennan seinen Unmut über den schlechten Informationsstand der Wähler*innen aus; Unmut, welchen viele Menschen angesichts grassierender Verschwörungstheorien über…

Nachdenken über den Frieden in Zeiten des Krieges

Von Philipp Gisbertz-Astolfi (Göttingen) Es tobt ein Krieg in Europa. Was vor Kurzem noch undenkbar schien, ist heute traurige und schockierende Realität. Die philosophische Ethik des Krieges bietet vieles, was sie uns Bereicherndes über diesen Krieg lehren kann. Am Ende bringt sie uns dorthin, woran ohnehin kein Zweifel bestehen darf…

Nicht werten? Demokratieerziehung in Zeiten des Krieges

von Johannes Drerup (Dortmund) In der Moscow Times[1] wurde im September letzten Jahres von einer eigentümlichen Begebenheit berichtet: Putin höchst selbst wollte die Schülerschaft in einer Schule in Vladivostok über ein militärgeschichtliches Ereignis aus dem 18 Jhdt. belehren und wurde von einem Schüler mit Bezug auf die Datierung korrigiert. Daraufhin…

Frau Baerbocks Auftritt vor der UN-Vollversammlung: Eine ikonographische Analyse

Von Veronika Surau-Ott (Greifswald) und Konrad Ott (Kiel) Nicht erst im Zeitalter digitaler Technologien wird Kriegspolitik medial inszeniert. Solche medialen Inszenierungen können beabsichtigt und geplant sein. Sie dienen dann der Desinformation, der Verunsicherung und der Entmutigung. Dies ist ordinäre Propaganda („phony war“). Sie können sich aber auch spontan und ungeplant…

Friedens- und Sicherheitslogik zusammen denken

von Michael Haspel (Erfurt) Im Bereich der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen ist schon länger zu beobachten, dass angesichts der weltpolitischen Verschiebungen, die insbesondere mit dem Aufstieg Chinas verbunden sind, (neo-)realistische Ansätze, die vor allem wirtschaftliche und geostrategischen Interessen fokussieren, Konjunktur haben. Sogenannte „liberale“ Ansätze, die auf die Verrechtlichung und…