22 Jul

Die Macht der Affekte

Von Mesut Bayraktar (Hamburg)


»Ich denke, also bin ich« heißt es bei Descartes. Der Affektenlehre Spinozas ließe sich die Frage voranstellen: Was bin ich, wenn ich nicht denke? Der Spielball äußerer Einwirkungen, die mich affizieren. Ich bin die „menschliche Ohnmacht“ und „Unfreiheit“, „denn der den Affekten unterworfene Mensch befindet sich nicht in seiner eigenen Gewalt, sondern in der des Schicksals, in dessen Macht er gefangen ist, sodass er oft gezwungen wird, dem Schlechteren zu folgen, obgleich er das Bessere einsieht.“[1] Ich bin – aber meine Freiheit ist die Freiheit eines anderen. Sie ist unter innerer oder äußerer Notwendigkeit subsumiert.

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08 Apr

Das Affektive ist politisch. Eine schemenhafte Skizze des Zusammenhangs zwischen Affektivität und Politik

Von Jule Govrin (Berlin)


In politischen Prozessen kochen die Gefühle hoch, sei es in angriffslustigen Debatten in den digitalen Arenen, im erhitzten Schlagabtausch bei Polit-Talkshows, in aufgeregten Bundestagsdebatten, in wütenden Menschenmassen auf Demonstrationen oder in sensationslüsternen Berichterstattungen über tagespolitische Geschehnisse. Bisweilen drängt sich der Eindruck auf, als hätten sich solche Gefühlsausbrüche in den letzten Jahren rasant vermehrt und verstärkt. Ertönen nicht öfter Beleidigungen und Buhrufe im Bundestag, seitdem dort die rechte Partei Alternative für Deutschland (AfD) eine Fraktion stellt, die die Provokation lustvoll zu zelebrieren scheint? Treten nicht selbst Politikerinnen, die vormals als gemäßigt galten, ungleich streit- und angriffslustiger auf? Hat nicht die Präsidentschaft Donald Trumps mit der Diskursethik des besseren Arguments gebrochen, um affektgeladenem Gebaren Platz zu machen? Drängen die digitalen Dynamiken, die Aggressionseskaladen in den sozialen Medien anheizen, die demokratische Öffentlichkeit ins Irrationale? Derartige Vermutungen gehen von einer Art Reinheitsthese der Politik aus, als brächen gegenwärtig Gefühle in die Vernunftsphäre der Politik hinein. Allerdings verkennt solch eine Einschätzung vorschnell, dass Politik und Affektivität weit über die Gegenwart hinaus in ganz grundlegender Weise miteinander verbunden sind. Der Mensch als Zoon politikon, als politisches Tier, wie ihn einst Aristoteles bezeichnete, war niemals reines Vernunftwesen. Wie Menschen von Begehren und Gefühlen bestimmt sind, so ist auch das Geschäft der Politik seit jeher von Leidenschaften geleitet. Um das verquickte Verhältnis von Gefühlen und Politik in den Blick zu bekommen, ist es hilfreich, zunächst den Begriff des Affekts unter die Lupe zu nehmen, um ihn anschließend in Zusammenhang zur Politik und zum Politischen zu setzen.

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