06 Aug

Bloße Toleranz? Anmerkungen zur pädagogischen Ablehnung der Ablehnungskomponente

Von Johannes Drerup (Dortmund & Amsterdam)


Der Begriff der Toleranz führt – ganz ähnlich wie der Begriff der Bildung – in öffentlichen Debatten einer Art „Doppelleben“[1]. Einerseits gilt Toleranz als ein mögliches Allheilmittel für alle nur denkbaren gesellschaftlichen Probleme, andererseits ist die spezifische Relevanz und Bedeutung von Toleranz sowohl mit Bezug auf Grundsatzfragen der theoretischen Konzeptualisierung und normativen Begründung als auch mit Bezug auf Anwendung auf konkrete Konflikte hoch umstritten. Auch in erziehungs- und bildungsphilosophischen und erziehungswissenschaftlichen Debatten finden sich zwar immer wieder kursorische Hinweise darauf, wie wichtig Toleranz im Kontext von pluralistischen Gesellschaften ist, sowie auch eine Reihe von mehr oder weniger normativ ausgerichteten Kritiken von unterschiedlichen Formen der Intoleranz. Gleichwohl findet man kaum eine systematische Auseinandersetzung mit Toleranz als pädagogischer und politischer Leitvorgabe bzw. mit der Frage, was eigentlich unter Intoleranz zu verstehen ist[2]. Was sich dagegen findet, insbesondere im Kontext engagierter Pädagogiken, sind Negativverdikte gegen `bloße Toleranz´ oder `herablassende Toleranz´, die einer zeitgemäßen Konzeption inter- oder transkultureller Bildung und Erziehung, so die Annahme, nicht mehr entsprechen. Toleranz, so scheint es und hier zeigen sich erstaunliche Parallelen zum Umgang mit dem Erziehungsbegriff, gilt als anachronistische Form der Stabilisierung obsoleter Macht- und Herrschaftsformen. Diese Parallelen im Umgang mit beiden Leitkonzepten dürften auch darauf zurückzuführen sein, dass sowohl Toleranz als auch Erziehung immer mit Grenzen und Selektionsvorgaben operieren, die auch normativ zu begründen sind. `Toleranz´, die alles toleriert, löst sich gewissermaßen begrifflich und praktisch auf, `Erziehung´ die keine Grenzen akzeptablen Verhaltens kennt, ist überflüssig. Sowohl Toleranz als auch Erziehung operieren folglich mit Werturteilen, sie beruhen auf Selektionen und damit zugleich auf Formen der Ablehnung, weshalb beide in manchen pädagogischen Milieus häufig als fragwürdige Begriffe, ja geradezu als `dirty terms´ gelten. Man möchte stattdessen lieber `Vielfalt´ feiern und wertschätzen und Kinder freundschaftlich begleiten, statt sie zu erziehen.

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23 Mai

Bildung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit

von Sabrina Schröder und Charlotte Spellenberg (Halle-Wittenberg)


Studierende der Erziehungswissenschaften können in Einführungsveranstaltungen das Pech haben, mit einer marktlogisch geführten Uni konfrontiert zu sein, die auf Problemlösung statt auf Problematisierung setzt und ihnen hinsichtlich der eigenen Wissens- und Kompetenzbildung das Blaue vom Himmel verspricht. Wenn ‚Bildung‘ so als „Marschgepäck“ (Schwanitz 1999, 8) verkauft wird, wird sich in den Vorlesungen, Seminaren und Diskussionen dann auch die Frage nach deren ‚Mehrwert‘ einstellen. Demgegenüber klingt ein Satz wie: „Das Schlimmste, was Ihnen im Studium passieren kann ist, dass Sie dieselbe bleiben“ fast schon wie eine Drohung. Das Bedrohliche bezieht sich dann nicht auf die Frage, inwiefern man in der Lage ist, ein ‚zur Verfügung stehendes Wissen‘ für sich selbst effektiv ‚verwertbar‘ zu machen, sondern auf die Möglichkeit, das Unvorhersehbare auszuhalten. Die Forderung ‚nicht dieselbe zu bleiben‘ ließe sich so übersetzen in einen unmöglichen Anspruch, der mit der Potenzialität der Bildung zu tun hat: Es geht darum, offen zu sein für etwas, von dem man nicht weiß, ob es sich ereignet.

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08 Jan

Schule als ‚Bollwerk der Bildung‘

von Thomas Rucker (Bern)


„Schule muß heute eine Institution zur Verteidigung der Bildung werden. Ja, sie stellt vielleicht das letzte Bollwerk dar, in dessen Schutz Bildung in dem ihrer Geschichte angemessenen Sinn bewahrt, aber auch gewährt werden kann“ – Dieser Satz stammt von Theodor Ballauff und findet sich in einem kleinen Bändchen aus dem Jahre 1964 mit dem Titel Die Schule der Zukunft.[1] Der Satz könnte ebenso heute formuliert worden sein, denn Bildung im pädagogischen Verständnis ist auch im Jahre 2018 keine Selbstverständlichkeit, auf die man rekurriert, wenn Schule zum Thema gemacht wird. Ballauff ist sich freilich darüber im Klaren, dass die Schule zunächst einmal als eine Institution, d.h. eine auf Dauer gestellte Problemlöseinstanz der Gesellschaft begriffen werden muss und in diesem Sinne nicht nur ein Ort der Ermöglichung von Bildung ist bzw. sein kann. Gleichwohl insistiert Ballauff darauf, dass es für eine pädagogische Perspektive auf Schule, die sich ihrer philosophischen Tradition verpflichtet weiß, von großer Bedeutung ist, Schule als einen (möglichen) ‚Ort‘ der Bildung in den Blick zu rücken.

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